Das Huhn der Hirtin – 1710

Das Huhn der Hirtin – 1710

Die Hirtenkote in Schätzendorf war ein Häuschen ohne Ar und Halm, oder wie man früher sagte ohne Land und Sand.

Darin wohnten zwei alte Leute mit ihrem Nachwuchs , Harm Kröger und seine Frau. Er war schon recht hinfällig, konnte der Herde nicht mehr nachkommen und war im Begriff in den Altenteil zu treten, der darin bestand, dass er bei seinen Kindern das freie Mitessen hatte. Nun war am gestrigen Tage der reitende Klostervogt dagewesen und hatte den Alten den Befehl gebracht sofort auf des Klosters Amtsstube zu einer Verantwortung zu erscheinen. Dann war er wieder davongeritten, ohne zu sagen, weshalb und weswegen.

„Dor müßt du hen, Mudder“, hatte der Alte bei der Nachtkost gesagt, „ möglich, dat Du mit Bruns Bur sin Teegnwagen föhrn kannst, Du schüßt Trina man mal räöwer schicken un tofragen late.“

„Bruns heppt doch vergangn Week eher Tegn all affwiert“, entgegnete die Alte „ick warr denn woll tofoot los mötn na Lünborg, wenn dor würklich eener hen mutt.“

Und so machte sich am 8. April 1710 Heern Mudder auf nach Lüneburg, es waren ja auch nur rund 4 Meilen (ca. 30 km) und sie machte diese Reise ja nicht zum ersten Mal zu Fuß. Ihr Weg führte sie durch den Wald. Ein Rudel Wildschweine kreuzte den schmalen Fußpfad. Links und rechts  blühten die letzten Weidenkätzchen, und unter dem Gebüsch leuchteten die ersten Osterblumen auf. Aber was mochte der Ausreuter nur wollen? „Jedenfalls is dat von wegen dat Hohn, dat se mi köttens wedder affverlangt hept,“ dachte sie.

Nach einer Wanderung von fast 5 Stunden kam bald hinter Reppenstedt der grüne Michaelisturm in Sicht, und die große „Klock“ auf dem dicken Michel tat grade ihre 11 Schläge, da stand die Frau vor dem hohen Klosterherren, dem ersten nächst dem Abt. Die Leute sagten immer noch Abt, wenn sie den freiherrlichen Landschaftsdirektor Exzellenz von Spröcken meinten.

Der Ausreuter Landmarschall Freiherr von Medingen war ein freundlicher, leutseliger Herr. Niemand brauchte sich vor ihm zu fürchten, der kein schlechtes Gewissen hatte. Aber Heern Mudder schlug doch „ en ganz lütt betn dat Hatt“, als sie sich dem hohen Herrn in der blanken Ausreuteruniform gegenüber sah.

Warum ihr Mann nicht käme, frage Herr von Meding. „De is krank, Herr Utrieder, wenn´t nich bald anners ward, denn geit´t mit us´Vadder to En´n,“ ewiederte Mudder Kröger. „Warum habt ihr euch wieder geweigert, das Rauchhuhn zu geben, da ihr doch Eure eigene Kate habt?“

„We heppt woll us´eegn Kat, awer dor is nicks bi. Us paar Höhner lops öwer anner Lü´ ehr Grund un Bodden. So langß a sick un us´Vadder in de Katt sitt´hept we keen Rookhohn liewert.“

Der Ausreuter befahl dem Schreiber, die Register von 1670 – 80 aus dem Archiv zu holen. Die Schriften wurden gebracht. Der Ausreuter blätterte die Jahrgänge durch.

„Sie hat recht, Heen Mudder, ihr habt kein Rauchhuhn geliefert wie Degen und Ramakers. Aber wie steht es denn um das Zehnthuhn?“

„Tegnhöner hept we ebensowenig gen, weil we dat, so lang a sick un us´Vadder denkn könnt, nicht gebn hept.“

Auch hier ergaben die älteren Zehntregister, daß hinter dem Namen Kröger das „non dedit “ stand : „ er hat nicht gegeben.“

„Nun gut, Krögersche, dann ist es in die letzten Listen irrtümlich durch der Vögte Veranlassung hineingekommen und muß wieder daraus abgesetzt werden: Sie kann gehen.“

Erleichtert trat Mutter Kröger den Heimweg an. Sie beeilte sich. Vielleicht hatte sie Glück, eine Strecke mit Gelegenheit fahren zu können. Zu Hause feierten die beiden alten den Sieg des geheiligten Gewohnheitsrechtes, womit sie es immer gehalten hatten: „ Dat mutt so bliebe as´t jümmer wesen is.“  

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